Betreuung im Alter

Längst fällige Auseinandersetzung

Der Umstand, dass in der jetzigen Zeit ältere Menschen, trotz Hilfsbedürftigkeit und Einsamkeit, nicht in eine Pflegeinstitution eintreten wollen, zeigt erst recht auf, wie wichtig die Betreuung in dieser Lebensphase ist.

 

In der gesundheitspolitischen Diskussion steht die Pflege im Vordergrund. Die Betreuung hat keinen Stellenwert. Durch den demografischen Wandel unserer Gesellschaft ist es dringend notwendig, dass die Betreuung in den Mittelpunkt der alterspolitischen Diskussion rückt. Die Auseinandersetzung über gute Betreuung im Alter ist längstens fällig. Betreuung beinhaltet die gemeinsame Alltagsgestaltung und soll älteren Menschen die gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen, da sie sonst einsam und sozial isoliert werden.

Die Babyboomer kommen ins Rentenalter. Dadurch verschiebt sich das Gleichgewicht zwischen Jungen und Alten. In den nächsten 30 Jahren wird die Anzahl der hochbetagten Menschen stark ansteigen. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Phase der Gebrechlichkeit im hohen Alter zu länger dauernden Phasen der Betreuung führt. Gerade jetzt, da die Betreuung und Pflege von Angehörigen immer mehr erwartet wird, sinkt die Bereitschaft sich um Angehörige zu kümmern. Kommt hinzu, dass in einem Drittel der Schweizerhaushalte nur eine Person lebt.

 

Selbstbestimmt und unabhängig alt werden wollen wir alle. Dies bedingt neben hindernisfreien Wohnungen u.a. technische Unterstützungssysteme und vermehrte hauswirtschaftliche und soziale Betreuung. „Ambulant vor stationär“ im Altersbereich wird noch wichtiger als bisher. Nicht nur aus freier Entscheidung, sondern auch aus Kostengründen sollen ältere Menschen möglichst lange zu Hause leben, selbst bei steigendem Betreuungs- und Pflegebedarf. Da die Betreuungsarbeit von den betroffenen Menschen selbst finanziert werden muss, können sich längst nicht alle hilfsbedürftigen Menschen eine professionelle Betreuung leisten. Dies wird verstärkt, weil bisherige Leistungen der öffentlichen Hand im Kanton Bern aus steuerpolitischen Gründen abgebaut wurden. Das führt dazu, dass die Versorgung von betagten Menschen immer mehr zu einer Zweiklassengesellschaft im Alter führt.

 

Um uns allen ein würdevolles Altern zu ermöglichen, muss dieses zunehmende soziale Ungleichgewicht im Alter vermieden werden. Eine wichtige Voraussetzung dazu ist eine gesetzliche Regelung für ein Anrecht auf eine umfassende Betreuung. Der Kanton und die Gemeinden sind gefordert. Sie müssen nicht nur die ambulante Pflege sichern, sondern auch die Verantwortung für die Sicherstellung der Betreuung übernehmen.  Es darf nicht sein, dass nur gutsituierte alte Menschen selbstbestimmt leben können. 

 

Münsingen, 24. Februar 2021

 

Elisabeth Striffeler

Gerontologin MAS / Grossrätin / SP Fraktionspräsidentin /Vorstandsmitglied ProSenior Bern