Grosser Rat Bern

Alterspolitische Themen in der frühlingssession 2021

Regionale Zuteilung der Pflegeheimplätze

Im Bericht „Regionale Zuteilung der Pflegeheimplätze“ zur Motion 284-2015 Amstutz (Sigriswil, SVP), wurde der Auftrag, die kontingentierten regionalen Pflegeheimplätze neu zuzuteilen, geprüft. Der Auftrag war 2016 vom Grossen Rat als Postulat überwiesen worden. Weiter musste dafür gesorgt werden, dass bestehende Pflegeheime bei einer Sanierung / Erweiterung die Pflegplätze erhöht werden dürften, solange im entsprechenden Verwaltungskreis das Kontingent nicht ausgeschöpft sei.

Der Auftrag wurde damit begründet, dass die Zuteilung der kontingentierten Pflegeplätze innerhalb der Verwaltungskreise nicht einheitlich und zum Teil nicht nachvollziehbar sei. Der Kanton solle die Anzahl der Pflegeheimplätze für die Verwaltungskreise regeln und nicht die Zuteilung innerhalt des Verwaltungskreises.

Der Bericht wurde nun von den Mitgliedern im Grossen Rat einstimmig gutgeheissen.

Der Regierungsrat plant folgendes Vorgehen hinsichtlich einer angepassten Pflegeheimplanung:

 - Aufnahme weiterer Kriterien für die Pflegeheimplanung und die Festlegung der Planungsgrössen pro Region;

 - Analyse der Auswirkung der Pflegeheimplanung auf die Kostenentwicklung sowie den Versorgungsmarkt in der stationären Langzeitpflege;

 - Förderung von intermediären Angeboten (Ebene Heim, Tages- und Nachtstätten) im Rahmen der Gesetzgebung über die sozialen Leistungsangebote (SLG);

- Aufbau einer Übersicht über die intermediären Angebote (bspw. für Menschen mit Demenz) und Analyse deren Auswirkung auf die Versorgungslandschaft allgemein und den Leistungskonsum in der ambulanten und der stationären Pflege im Besonderen;

 - Förderung der gezielten Information zum bestehenden stationären, intermediären und ambulanten Angebot für Menschen mit Pflegebedarf;

 - Gewähren des adäquaten Einbezugs der Gemeinden bzw. Regionen in die Entwicklung der Alterspolitik des Kantons unter Berücksichtigung allfälliger gesetzlicher Anpassungen.

Der Grosse Rat hat die Motion 2016 als Postulat überwiesen.

 

Aus dem Bericht

Im Bedarf und in der Verteilung von Pflegeheimplätzen kumulieren sich unterschiedliche Fragestellungen: Experten sprechen vom «ethischen Dilemma zwischen Selbständigkeitserhalt und Unterstützung, zwischen Sicherheit und Autonomie und zwischen medizinischer Intervention und würdevollem Sterben». In der Diskussion um Pflegeheimplätze widerspiegelt sich deshalb auch die Alterskultur und die Frage der Rolle der älteren, fragilen Menschen in der Gesellschaft. Ältere Menschen möchten in der Regel so lange als möglich in ihrem vertrauten Zuhause leben. Der Eintritt in ein Pflegeheim erfolgt dann, wenn dies nicht mehr möglich ist und die vorhandenen Angebote an Unterstützungsleistungen nicht mehr genügen. Trotz der steigenden Zahl an älter werdenden Menschen und der höheren Lebenserwartung blieb das Kontingent an Pflegeheimplätzen unverändert. Es kann beobachtet werden, dass der Eintritt in ein Pflegeheim immer später erfolgt und die Aufenthaltsdauer in der Institution kürzer werden. Gleichzeitig steigt die Komplexität des Pflegebedarfs durch Multimorbidität und Demenz. Nebst ambulanten und stationären Angeboten gewinnen intermediäre Angebote, wie z.B. Tagesbetreuung oder Kurzaufenthalte im Heim, an Bedeutung. Mit der Weiterentwicklung dieser Angebote werden auch Menschen mit Unterstützungsbedarf in einer tiefen Pflegestufe Alternativen zum Heimaufenthalt finden.

Gleichzeitig sind aber auch die demografische Entwicklung mit der steigenden Zahl der hochbetagten Menschen, die gesellschaftlichen Veränderungen sowie Individualisierung und neue Familienstrukturen zu berücksichtigen. Daraus ergeben sich nicht nur in der Pflegeheimplanung, sondern in der gesamten Alterspolitik Herausforderungen, die von Kanton und Gemeinden gemeinsam getragen werden sollen. Die Kantone sind mit der Bedarfsplanung sowie der Bereitstellung und Finanzierung der Pflegeheimplätze beauftragt. Die Anliegen der Gemeinden sollen in die Pflegeheimplanung des Kantons einfliessen. Eine Änderung der Aufgabenteilung wird jedoch nicht angestrebt, da die Verantwortung für entsprechende Entscheide der Verantwortung für die Finanzierung entsprechen soll. Bei der Analyse der aktuellen Situation muss festgehalten werden, dass im Kanton Bern die Bruttoleistung pro versicherte Person sowohl für Pflegeheime als auch für Spitex-Organisationen über dem gesamtschweizerischen Durschnitt liegen (Monitoring der Krankenversicherungs-Kostenentwicklung, MOKKE). Dieses Ergebnis kann auf ein falsches Anreizsystem hinweisen. Auf ein falsches Anreizsystem in der Finanzierung der Pflegeheimplätze aufgrund der Pflegestufen verweist auch ein Bericht des Instituts Alter der Berner Fachhochschule. Hohe Pflegestufen liegen im Interesse der Institution, weil sie dadurch mehr Geld erhalten, führen aber dazu, dass die Heimbewohnerinnen und Heimbewohner oftmals zu wenig stark zur Ausübung ihrer Selbständigkeit befähigt werden.

Im Bericht wird auf diese Herausforderung und die entstehende Notwendigkeit einer Anpassung der Pflegeheimplanung eingegangen. Zudem wird auf die bestehende Pflegeheimplanung und erfolgte Veränderungen eingegangen.

Die Aufgabe der Pflegeheimplanung ist sowohl in der nationalen als auch in der kantonalen Gesetzgebung verankert. Die Berechnung der Bedarfsplanung gemäss der heutigen Pflegeheimplanung basiert auf den Bevölkerungsprojektionen der Statistikkonferenz des Kantons Bern.

Von den insgesamt 15'500 Pflegeheimplätzen im Kanton Bern sind heute insgesamt rund 14'300 Plätze in Betrieb. 1'097 Plätze befinden sich auf der Reservationsliste und sind für geplante Erweiterungs- und Neubauten zurückgestellt. Diese reservierten Plätze werden in die Berechnung der Abdeckung in den Regionen miteinbezogen.

Basis für die Berechnung der Pflegeheimplätze pro Verwaltungsregion bzw. Subregion bildet heute die Bevölkerungsprojektion der 80+-Jährigen. Die Zahl der 80+-Jährigen sowie die Zahl der bestehenden und bereits für Bau und Erweiterung reservierten Pflegeheimplätze bestimmen den Bedarf an Pflegeheimplätzen in einer Region

Das heutige Alters- und Pflegeheim ist aber auch vermehrt zur Zwischenstation für Menschen geworden, die nach einem Spitalaufenthalt nicht sofort nach Hause zurückkehren können. Diese Entwicklung wird weitergehen. Denkbar ist z.B., dass sich die heutigen Abgrenzungen von Angeboten aufweichen, indem z.B. Bewohnerinnen und Bewohner vom Wohnen mit Dienstleistungen nicht mehr in die Pflegeabteilung wechseln müssen, sondern das Wohnen mit Dienstleistungen sich zum Pflegeplatz wandelt. Die früher propagierte Strategie «ambulant vor stationär» wurde von der Realität eingeholt, die Nutzung der Angebote durch die betroffenen Menschen orientiert sich vielmehr am Grundsatz «ambulant und stationär». In der heutigen Pflegeheimplanung werden diese Entwicklungen nicht berücksichtigt. Es fehlt zudem eine Verknüpfung zu den Daten der ausserhalb der Alters- und Pflegeheime erbrachten Leistungen.

Die Gesundheitsstrategie des Kantons Bern sieht die Förderung der integrierten Versorgung als eine Zielsetzung mit hoher Priorität. Dazu gehört auch die Weiterentwicklung der Pflege/Betreuung im intermediären Bereich (zwischen stationär und ambulant, z.B. Tages- und Nachtstrukturen, betreutes Wohnen, Wohnen mit Dienstleistungen).

Eine verstärkte Zusammenarbeit ist jedoch nicht nur unter den Leistungsanbietern zu suchen, sondern auch zwischen professionellen Organisationen des Gesundheitswesens, der Sozialberatung (Pro Senectute) und den betreuenden Angehörigen und Freiwilligen

Diese Koordination muss bereits auf der Planungsebene beginnen. Die Pflegeheimplanung steht im Kontext zu weiteren Versorgungsbereichen und ist deshalb aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Die Planung in der Langzeitpflege ist beispielsweise auf die kantonale Gesundheitsstrategie und auf weitere Versorgungsplanungen abzustimmen. Aber auch weitere alterspolitische Massnahmen sind zu berücksichtigen. Die Pflegeheimplanung ist ein Teil vielfältiger Aufgaben in der Alterspolitik, welche von Kanton und Gemeinden als Verbundaufgabe übernommen werden. Gemeinsam müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, welche die Menschen darin unterstützen, Lebensübergänge von einem ins andere Lebensalter zu bewältigen. Insbesondere wenn es darum geht, Angebote und Dienstleistungen aufeinander abzustimmen, können die Regionen eine wichtige Rolle übernehmen, indem sie z.B. eine gemeindeübergreifende Koordination übernehmen.

 

Finanzierung eines Pilotprojekts für spezialisierte Palliative Care in der Langzeitpflege

Mit der Motion «Finanzierung eines Pilotprojekts für spezialisierte Palliative Care in der Langzeitpflege» (213-2020) fordert die Motionärin (Striffeler, Münsingen, SP) vom Regierungsrat, die Finanzierung der spezialisierten Palliative Care in der Langzeitpflege sicher zu stellen. Im Rahmen eines Pilotprojekts soll eine solide Grundlage für eine kostendeckende Finanzierung ermittelt werden.

Der Auftrag wurde damit begründet, dass der Bedarf an Angeboten der allgemeinen und spezialisierten Palliative Care in der Schweiz unbestritten ist. Die demografische Entwicklung und der technische Fortschritt in der Medizin führen dabei nicht nur zu einer immer älter werdenden Bevölkerung, sondern auch zu mehr komplexen Situationen am Lebensende (BAG + GDK 2013). Der Kanton Bern hat vor diesem Hintergrund bereits 2014 mit der Erarbeitung von Zielsetzungen und der Versorgungsplanung zu Palliative Care begonnen (GEF 2013/14). Diese richtet sich nach der nationalen Strategie Palliative Care.

Der Regierungsrat wollte diese Motion nur als Postulat überweisen lassen, da er erst das weitere Vorgehen auf Bundesebene abwarten will und die Ergebnisse des Modellversuchs der mobilen spezialisierten Palliativdiensten abwarten will. Bis zur Beratung wurden in dieser Session Kredite über 21 Mio. Franken für Gymnasien, Uni, Berufsschule; ÖV usw. vergeben – ohne Zusatzkredite für Covid – aber ausgerechnet bei dieser Motion fand eine Gesundheitspolitikerin, dass sie diese Motion nicht unterstützen könne, weil sie nicht zusätzliche Kosten verursachen wolle, bevor man nicht wisse, wie teuer uns die Pandemie zu stehen komme.

Die Motion wurde mit 89 zu 62 Stimmen angenommen.

 

Grundsätzlich verfügt der Kanton Bern über ein gut ausgebautes Netz für die allgemeine palliative Versorgung. Dies betrifft vor allem den Rahmen der Grundversorgung und die spezialisierte Palliative Care im Akutspital. Ebenso hat der Kanton die Pilotphase für den mobilen Palliativdienst gestartet. Bezüglich der spezialisierten Palliative Care in der Langzeitpflege (sPCL) und eines Hospiz-Angebots bestehen jedoch beträchtliche Lücken (Wyss & Coppex 2013). Dies ist auf Probleme der mangelnden Finanzierung von solchen Leistungen zurückzuführen. Die GSI geht in ihrem Konzept für die palliative Versorgung im Kanton Bern von einem Bedarf von insgesamt 78 Pflegeplätzen der spezialisierten Palliative Care aus (39 akut / 39 Langzeitpflege). Der geschätzte Bedarf erhöht sich bis 2030 auf 82 Plätze. Die Praxis zeigt, dass der Bedarf nach spezialisierter Palliative Care in der Langzeitpflege und eines Hospizes im Raum Bern das Angebot bei weitem übersteigt und unwürdige Situationen nur dank freiwilligem, unentgeltlich geleistetem Einsatz von einzelnen Pflegebetrieben minimiert werden können. Häufig werden Betten von Palliativstationen in Spitälern (wo die Finanzierung nach DRG nur 12 Tage Aufenthaltsdauer beinhaltet) durch Langzeitpflegepatienten besetzt und stehen für die akute, spezialisierte Palliative Care nicht mehr zur Verfügung. Eine spezialisierte Palliative Care in der Langzeitpflege und ein Hospiz sind jedoch mit der geltenden Pflegefinanzierung in der Langzeitpflege nicht möglich. Die Betreuung und Pflege von Menschen mit Bedarf an spezialisierter Palliative Care (komplex/stabil) ist im Pflegeheim gut 40 Prozent günstiger als im Spital. Diese Option schliesst Kinder, die sPCL benötigen, aus. Dadurch besteht ein volkswirtschaftliches Sparpotential von jährlich 8,3 Mio. Franken. Der Kanton Bern könnte pro Jahr rund 3,5 Mio. Franken sparen. Damit Menschen in Würde und in einem ihnen angepassten Rahmen sterben können, sind diese Angebote dringend nötig und müssen entsprechend finanziert werden. In diesem Sinne erwarten wir vom Regierungsrat, dass er die entsprechenden Rahmenbedingungen schafft, damit der Bevölkerung im Kanton Bern ein umfassendes Angebot der Palliative Care zur Verfügung steht

 

Elisabeth Striffeler, Münsingen, Frühjahr 2021